Adventskalender 2023 - Türchen Nr. 10
Verfasst: Sonntag 10. Dezember 2023, 09:03
Guten Morgen liebe Drechselgemeinde,
ich empfinde es aus mehrfacher Hinsicht als Privileg, Mitglied hier zu sein.
Das möchte ich eingangs meines Türchens gern erklären, denn es hat viel mit dem heutigen Thema zu tun.
Zunächst gab es da mal den kleinen Egbert, der viel lieber zum Tischler in seinem Dorf ging, als mit seinen Freunden Fussball zu spielen.
Schon im Vorschulalter klopfte ich außen, auf den Zehenspitzen stehend, an das Werkstattfenster von Meister Berthold. Dieser gab zwar den Brummbär, der nicht bei der Arbeit gestört werden wollte, konnte jedoch meinen leuchtenden Kinderaugen nicht widerstehen und ließ mich in sein nach Hobelspänen duftendes Paradies.
Da sämtliche Maschinen in der Tischlerei mit riesigen Transmisionsriemen aus Förderbandummi über mehrere Wellen unter der Werkstattdecke angetrieben wurden, wies der Meister mir einen großen Haufen Hobelspäne neben seiner Hobelbank als dauerhaften Stützpunkt zu und fuhr mit seiner Arbeit fort. So verbrachte ich ganze Tage meiner Kindheit damit, ihm über die Schulter bzw. auf seine knochigen Hände zu schauen:
Wie er auf einem Rollwagen eine rohe Bohle in die Halle fuhr, sie besäumte, an der Säge aufteilte und abrichtete. Danach begann die Handarbeit mit Metermaß und Zimmermannsbleistift, den er stets hinter dem Bügel seiner Hornbrille trug. Der Handhobel ließ die Späne fliegen und die Finger des Meisters streichelten in einer geheimnisvollen Zwiesprache über das Holz. Das Holz schien ihm zu antworten, denn er wechselte die Werkzeuge oder nickte zufrieden und zündete sich lächelnd seine Pfeife an. Gegen 10:00 Uhr teilte er sein Frühstücksbrot mit mir und um 12:00 Uhr schickte er mich nachhause, damit meine Mutter nicht unruhig werden würde. Nachmittags kam ich zurück, um zu sehen, wie aus dem Holz inzwischen ein Fensterrahmen wurde. Mit fließenden Bewegungen zog Meister Berthold den Glasschneider über die Scheiben, legte sie in den Rahmen und begann den Fensterkitt aufzutragen. Der Geruch des Kitts mischte sich mit dem Duft des Nadelholzes, ein Aroma, dass ich noch heute riechen kann, wenn ich die Augen schließe.
Am späten Nachmittag lag ein nach Leinölfirnis duftendes, fertiges Fenster auf der Werkbank und Berthold saß mit mir zusammen auf der breiten, groben Bank vor der Werkstatt, auf die er mich jedesmal hochheben musste. Bedächtig stopfte er sich eine weitere Pfeife, ein Unternehmen, das mit meinen Kinderaugen betrachtet etwas außerordentlich Kompliziertes sein musste, denn es dauerte gefühlt eine Stunde.
Dies alles übte auf den kleinen Jungen, der ich damals war, eine unbeschreibliche Faszination aus, die mich mit einem Glücksgefühl erfüllte. Ich fühlte ganz tief in meinem Inneren, dass ich die Sprache des Holzes lernen möchte genau wie Meister Berthold sie sprach und verstand. Der Duft in der Werkstatt, die Verwandlung eines groben Holzes in ein Fenster wie von Zauberhand, die geradezu ansteckende Ruhe und gute Laune des Meisters, das alles hat mich unbewusst beeinflusst.
Warum diese Geschichte? Nun, mein Herzenswunsch war danach, ein Holzhandwerk zu erlernen, genau wie Meister Berthold.
Mein Vater hatte andere Pläne mit mir und so kam es, dass ich studieren musste und schließlich im Büro vor einem Computer einen großen Teil meines Berufslebens verbrachte. Damals hatte ich noch nicht genug Kreuz, meinen eigenen Weg zu gehen.
Nachdem meine Kinder aus dem Haus und auf sicheren (selbstgewählten) beruflichen Füßen gelandet waren, konnte ich mir nun endlich meinen Herzenswunsch aus Kindertagen erfüllen: Ich richtete mir meine eigene Holzwerkstatt ein, in deren Zentrum eine Drechselbank steht. Manchmal müssen Wünsche etwas länger warten. Aber ich denke fast jeden Tag an Meister Berthold und den Haufen Hobelspäne in dem ich bei ihm saß, wenn ich in meine Werkstatt komme. Und so ist für mich eigentlich jeden Tag Weihnachten.
Doch nicht alle Menschen können sich zu Weihnachten ihre Wünsche erfüllen.
Und so komme ich zu Teil 2 des Privilegs: Wir Drechsler pflegen ein Hobby, das man sich leisten können muss.
Nicht alle Menschen können das Weihnachtsfest so unbeschwert, fröhlich, sorglos und wohlbehütet begehen,
wie die meisten von uns: Im Warmen, unter einem reich geschmückten Weihnachtsbaum liegen Geschenke,
im Backofen brutzelt die Weihnachtsgans und das ganze Haus duftet nach Lebkuchen und Räucherkerzen.
Es gibt auch Menschen, die allein und ohne das meiste vom eben genannten die Feiertage verbringen werden.
An diese möchte ich mit dem nachfolgenden Gedicht von Joachim Ringelnatz erinnern.
Meine Frau und ich haben zudem entschieden, einen Teil unserer Markteinnahmen für ein soziales Projekt zu spenden,
um Menschen in Not zu unterstützen.
Hier ein paar Fotos von unserem letzten Marktstand im Krongut Bornstedt (Potsdam):
Doch lassen wir nun Ringelnatz zu Wort kommen, der meist sehr viel fröhlicher in seinen Versen war,
den aber einst zu Weihnachten die Nachdenklichkeit die Feder führte:
Einsiedlers Heiliger Abend
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
Ich hab’ in den Weihnachtstagen -
Ich weiß auch, warum -
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.
Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.
Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.
Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe und Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.
Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.
Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat’s an der Tür gepocht.
Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: “Herein!”
Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.
Ich wünsche Euch allen eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit im Kreise der Familie.
Egbert
ich empfinde es aus mehrfacher Hinsicht als Privileg, Mitglied hier zu sein.
Das möchte ich eingangs meines Türchens gern erklären, denn es hat viel mit dem heutigen Thema zu tun.
Zunächst gab es da mal den kleinen Egbert, der viel lieber zum Tischler in seinem Dorf ging, als mit seinen Freunden Fussball zu spielen.
Schon im Vorschulalter klopfte ich außen, auf den Zehenspitzen stehend, an das Werkstattfenster von Meister Berthold. Dieser gab zwar den Brummbär, der nicht bei der Arbeit gestört werden wollte, konnte jedoch meinen leuchtenden Kinderaugen nicht widerstehen und ließ mich in sein nach Hobelspänen duftendes Paradies.
Da sämtliche Maschinen in der Tischlerei mit riesigen Transmisionsriemen aus Förderbandummi über mehrere Wellen unter der Werkstattdecke angetrieben wurden, wies der Meister mir einen großen Haufen Hobelspäne neben seiner Hobelbank als dauerhaften Stützpunkt zu und fuhr mit seiner Arbeit fort. So verbrachte ich ganze Tage meiner Kindheit damit, ihm über die Schulter bzw. auf seine knochigen Hände zu schauen:
Wie er auf einem Rollwagen eine rohe Bohle in die Halle fuhr, sie besäumte, an der Säge aufteilte und abrichtete. Danach begann die Handarbeit mit Metermaß und Zimmermannsbleistift, den er stets hinter dem Bügel seiner Hornbrille trug. Der Handhobel ließ die Späne fliegen und die Finger des Meisters streichelten in einer geheimnisvollen Zwiesprache über das Holz. Das Holz schien ihm zu antworten, denn er wechselte die Werkzeuge oder nickte zufrieden und zündete sich lächelnd seine Pfeife an. Gegen 10:00 Uhr teilte er sein Frühstücksbrot mit mir und um 12:00 Uhr schickte er mich nachhause, damit meine Mutter nicht unruhig werden würde. Nachmittags kam ich zurück, um zu sehen, wie aus dem Holz inzwischen ein Fensterrahmen wurde. Mit fließenden Bewegungen zog Meister Berthold den Glasschneider über die Scheiben, legte sie in den Rahmen und begann den Fensterkitt aufzutragen. Der Geruch des Kitts mischte sich mit dem Duft des Nadelholzes, ein Aroma, dass ich noch heute riechen kann, wenn ich die Augen schließe.
Am späten Nachmittag lag ein nach Leinölfirnis duftendes, fertiges Fenster auf der Werkbank und Berthold saß mit mir zusammen auf der breiten, groben Bank vor der Werkstatt, auf die er mich jedesmal hochheben musste. Bedächtig stopfte er sich eine weitere Pfeife, ein Unternehmen, das mit meinen Kinderaugen betrachtet etwas außerordentlich Kompliziertes sein musste, denn es dauerte gefühlt eine Stunde.
Dies alles übte auf den kleinen Jungen, der ich damals war, eine unbeschreibliche Faszination aus, die mich mit einem Glücksgefühl erfüllte. Ich fühlte ganz tief in meinem Inneren, dass ich die Sprache des Holzes lernen möchte genau wie Meister Berthold sie sprach und verstand. Der Duft in der Werkstatt, die Verwandlung eines groben Holzes in ein Fenster wie von Zauberhand, die geradezu ansteckende Ruhe und gute Laune des Meisters, das alles hat mich unbewusst beeinflusst.
Warum diese Geschichte? Nun, mein Herzenswunsch war danach, ein Holzhandwerk zu erlernen, genau wie Meister Berthold.
Mein Vater hatte andere Pläne mit mir und so kam es, dass ich studieren musste und schließlich im Büro vor einem Computer einen großen Teil meines Berufslebens verbrachte. Damals hatte ich noch nicht genug Kreuz, meinen eigenen Weg zu gehen.
Nachdem meine Kinder aus dem Haus und auf sicheren (selbstgewählten) beruflichen Füßen gelandet waren, konnte ich mir nun endlich meinen Herzenswunsch aus Kindertagen erfüllen: Ich richtete mir meine eigene Holzwerkstatt ein, in deren Zentrum eine Drechselbank steht. Manchmal müssen Wünsche etwas länger warten. Aber ich denke fast jeden Tag an Meister Berthold und den Haufen Hobelspäne in dem ich bei ihm saß, wenn ich in meine Werkstatt komme. Und so ist für mich eigentlich jeden Tag Weihnachten.
Doch nicht alle Menschen können sich zu Weihnachten ihre Wünsche erfüllen.
Und so komme ich zu Teil 2 des Privilegs: Wir Drechsler pflegen ein Hobby, das man sich leisten können muss.
Nicht alle Menschen können das Weihnachtsfest so unbeschwert, fröhlich, sorglos und wohlbehütet begehen,
wie die meisten von uns: Im Warmen, unter einem reich geschmückten Weihnachtsbaum liegen Geschenke,
im Backofen brutzelt die Weihnachtsgans und das ganze Haus duftet nach Lebkuchen und Räucherkerzen.
Es gibt auch Menschen, die allein und ohne das meiste vom eben genannten die Feiertage verbringen werden.
An diese möchte ich mit dem nachfolgenden Gedicht von Joachim Ringelnatz erinnern.
Meine Frau und ich haben zudem entschieden, einen Teil unserer Markteinnahmen für ein soziales Projekt zu spenden,
um Menschen in Not zu unterstützen.
Hier ein paar Fotos von unserem letzten Marktstand im Krongut Bornstedt (Potsdam):
Doch lassen wir nun Ringelnatz zu Wort kommen, der meist sehr viel fröhlicher in seinen Versen war,
den aber einst zu Weihnachten die Nachdenklichkeit die Feder führte:
Einsiedlers Heiliger Abend
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
Ich hab’ in den Weihnachtstagen -
Ich weiß auch, warum -
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.
Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.
Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.
Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe und Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.
Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.
Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat’s an der Tür gepocht.
Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: “Herein!”
Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.
Ich wünsche Euch allen eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit im Kreise der Familie.
Egbert