Schlank und rank oder breitbeinig
Verfasst: Freitag 14. Januar 2022, 16:02
Hallo Möbeldrechsler:innen,
in Coronazeiten sind Stubenhocker offensichtlich populär, alltagssprachlich weil die Menschen in ihren vier Wänden hocken, Straßen und Plätze meiden, tatsächlich weil ich noch nie so viele Hocker gedrechselt habe wie während dieser Pandemie; und noch nie zuvor begehrten so viele Holzfreunde in meiner Werkstatt Hocker drechseln zu dürfen. Natürlich geht es hier um Dreibeinhocker. Sie gehören zu den frühesten und damit ältesten Sitzmöbeln der Menschen. Sie bestehen nur aus vier Teilen, benötigen zur Fertigung nicht einmal eine Drechselbank, allenfalls einen einfachen Drillbohrer, ein Zieheisen für die Beine und eine Säge. Wir Drechsler sind natürlich anspruchsvoller: Wir benötigen eine stabile Drechselbank, eine ordentliche Ständerbohrmaschine und eine verstellbare Vorrichtung zum Bohren der Zapfenlöcher in definierten Winkel zur Sitzfläche. Und so sind wir beim eigentlichen Thema: Gibt es einen optimalen Ausstellwinkel für die drei Beine? Ja und nein.
Wer ganz sicher auf dem Hocker hocken möchte, wählt einen Winkel von 73 Grad zur Sitzfläche (auf dem Foto der rechte Hocker), wer nicht so breitbeinig erscheinen mag, begnügt sich mit 79 Grad. Eine noch schlankerer Anmutung ist bei einem durchschnittlichen Durchmesser von 30 bis 32 Zentimeter Sitzfläche riskant. Der gute Ruf des Dreibeiners als standfest wäre gefährdet. Die Standfestigkeit ist in gewisser Weise auch abhängig von der Sitzhöhe, wobei ich als guten Erfahrungswert 50 Zentimeter wähle.
Dreibeinhocker zählen zu meinen Lieblingsmöbeln. Sie beanspruchen wenig Platz, passen in jede Lücke, sind extrem leicht, verführen ungebetene Gäste nicht zum dauerhaften Sitzenbleiben, verbrauchen bei der Herstellung extrem wenig wertvolles Holz und können notfalls auch zur Selbstverteidigung genutzt werden.
Eine Bemerkung zur Produktion auf der Drechselbank: wir haben alle Freiheiten in der Gestaltung von Sitzfläche und der Beine, können uns aber keinen Pfusch leisten. Der Zapfen muss peinlich genau den Durchmesser des Zapfenloches bekommen, hier geht um Zehntelmillimeter. Jede Nachlässigkeit wird bestraft, entweder beim Einschlagen der Beine in die Sitzfläche oder weil trotz Leimung früher oder später der Hocker wackelt. Wer das Risiko scheut, kann das alte Keilprinzip nutzen, Wobei der Keil aus Hartholz stets im rechten Winkel zur Holzmaserung des Beins eingetrieben werden muss. Details dazu habe ich in der Dezemberausgabe 2010 von HolzWerken in Bild und Text ausführlich beschrieben ("Handfester Dreibeiner bekommt richtig Keile"). Bei Interesse hilft der Verlag Vincentz Network in Hannover.
So, liebe Stubenhocker, rein in die Werkstatt, Dreibeinhocker bauen.
Freundliche Grüße von Peter Gwiasda
Mit dieser Vorrichtung bohre ich auf der Ständerbohrmaschine im gewünschten Winkel die Löcher für die Zapfen. Verstellen und justieren kann ich mit einer Gewindestange (rechts) und mit Distanzhölzern beidseits der Sitzfläche.
in Coronazeiten sind Stubenhocker offensichtlich populär, alltagssprachlich weil die Menschen in ihren vier Wänden hocken, Straßen und Plätze meiden, tatsächlich weil ich noch nie so viele Hocker gedrechselt habe wie während dieser Pandemie; und noch nie zuvor begehrten so viele Holzfreunde in meiner Werkstatt Hocker drechseln zu dürfen. Natürlich geht es hier um Dreibeinhocker. Sie gehören zu den frühesten und damit ältesten Sitzmöbeln der Menschen. Sie bestehen nur aus vier Teilen, benötigen zur Fertigung nicht einmal eine Drechselbank, allenfalls einen einfachen Drillbohrer, ein Zieheisen für die Beine und eine Säge. Wir Drechsler sind natürlich anspruchsvoller: Wir benötigen eine stabile Drechselbank, eine ordentliche Ständerbohrmaschine und eine verstellbare Vorrichtung zum Bohren der Zapfenlöcher in definierten Winkel zur Sitzfläche. Und so sind wir beim eigentlichen Thema: Gibt es einen optimalen Ausstellwinkel für die drei Beine? Ja und nein.
Wer ganz sicher auf dem Hocker hocken möchte, wählt einen Winkel von 73 Grad zur Sitzfläche (auf dem Foto der rechte Hocker), wer nicht so breitbeinig erscheinen mag, begnügt sich mit 79 Grad. Eine noch schlankerer Anmutung ist bei einem durchschnittlichen Durchmesser von 30 bis 32 Zentimeter Sitzfläche riskant. Der gute Ruf des Dreibeiners als standfest wäre gefährdet. Die Standfestigkeit ist in gewisser Weise auch abhängig von der Sitzhöhe, wobei ich als guten Erfahrungswert 50 Zentimeter wähle.
Dreibeinhocker zählen zu meinen Lieblingsmöbeln. Sie beanspruchen wenig Platz, passen in jede Lücke, sind extrem leicht, verführen ungebetene Gäste nicht zum dauerhaften Sitzenbleiben, verbrauchen bei der Herstellung extrem wenig wertvolles Holz und können notfalls auch zur Selbstverteidigung genutzt werden.
Eine Bemerkung zur Produktion auf der Drechselbank: wir haben alle Freiheiten in der Gestaltung von Sitzfläche und der Beine, können uns aber keinen Pfusch leisten. Der Zapfen muss peinlich genau den Durchmesser des Zapfenloches bekommen, hier geht um Zehntelmillimeter. Jede Nachlässigkeit wird bestraft, entweder beim Einschlagen der Beine in die Sitzfläche oder weil trotz Leimung früher oder später der Hocker wackelt. Wer das Risiko scheut, kann das alte Keilprinzip nutzen, Wobei der Keil aus Hartholz stets im rechten Winkel zur Holzmaserung des Beins eingetrieben werden muss. Details dazu habe ich in der Dezemberausgabe 2010 von HolzWerken in Bild und Text ausführlich beschrieben ("Handfester Dreibeiner bekommt richtig Keile"). Bei Interesse hilft der Verlag Vincentz Network in Hannover.
So, liebe Stubenhocker, rein in die Werkstatt, Dreibeinhocker bauen.
Freundliche Grüße von Peter Gwiasda
Mit dieser Vorrichtung bohre ich auf der Ständerbohrmaschine im gewünschten Winkel die Löcher für die Zapfen. Verstellen und justieren kann ich mit einer Gewindestange (rechts) und mit Distanzhölzern beidseits der Sitzfläche.