Die Kolumne für Dezember
Verfasst: Montag 30. November 2020, 23:32
Vom Überfluss und der
Freiheit vom Überfluss
Von Peter Gwiasda
Ich gehöre zu den Hobbydrechslern der ersten Stunde. Damit meine ich die Holzwerker, die nicht zum Broterwerb, sondern aus Lust und Freude in einer Zeit wachsenden Wohlstandes und großzügiger Freizeit ihre Erfüllung in einem uralten Handwerk erkannten. Meine Werkstatt entstand vor über vier Jahrzehnten im Kuhstall meines Hauses, einer typischen hessischen Hofreite. Ich habe den Stall im Erdgeschoss der Scheune entkernt und nach dem jeweiligen (oft knappen) Guthaben an Zeit und Geld ausgebaut. Meine Werkstatt ist im Verlaufe der Jahre immer größer und voller geworden. Sie entwickelte sich biologisch-dynamisch und - streng genommen - ohne Plan. Spontane konkrete Bedürfnisse und zufällige günstige Angebote von Maschinen und Werkzeugen bestimmten die weitere Entwicklung. Beim Ausbau des sehr alten Wohnhauses stand der Innenausbau und der Möbelbau im Vordergrund. Folglich sammelten sich Kombinationssägen, Fräsen, Hobelmaschinen und Bandsägen in der immer voller werdenden Werkstatt. Die Arbeit an den Drechselbänken war damals die Ausnahme, allenfalls lustbetonte Kür. Heute steht sie im Mittelpunkt, weil Tische, Schränke und Regale längst gebaut und alle Biedermeiermöbel poliert sind. Das also ist die Lage heute. Sie macht mich immer dann etwas ratlos, wenn ich in der Werkstatt stehe und einen Rundumblick mache. Brauche ich das alles wirklich?
Ich glaube, dass ich mit meinem Luxus-Problem nicht exklusiv bin. Ich kenne viele Dutzend Männer (und nur einige Frauen) meines Alters mit ähnlichen Lebensläufen. Wachsender Wohlstand und gesicherte Freizeit bei gleichzeitig steigendem Angebot an Werkzeugen und Maschinen für das Drechselhandwerk versetzten und versetzen uns Freizeit-Drechsler in euphorische Stimmungen. Ich habe alle großen Drechseltreffen erlebt. In meiner Erinnerung sind Bilder gespeichert von verzückten Männern mit großen Augen vor großen und kleinen Maschinen und berauscht von der Haptik der Werkzeuge aus Stahl und poliertem Edelholz. Und ich war immer mittendrinnen, erwarb dies und das und, weil gerade im Sonderangebot, auch noch ein Wunderöl für die Holzoberfläche. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Kanister mit dem Wunderöl ist immer noch halbvoll und die schwere extrabreite Schruppröhre aus Sheffield ist während der letzten fünfzehn Jahre höchstens einen Millimeter kürzer geworden. Ich bin also von Überfluss umgeben. Oder von Dingen, die ich fast nie benötigt habe und mutmaßlich auch künftig nicht mehr gebrauche. Ein Drechselanfänger wird dieses Bekenntnis als Provokation empfinden. Es ist aber nicht so gemeint.
Um die Wahrhaftigkeit dieser Zeilen zu überprüfen, habe ich gestern in meiner Werkstatt eine Inspektionsrunde gedreht. Die Bilanz bestätigt meine Einlassung. Hier zwei Beispiele: Ich zählte 130 unterschiedlich große Röhren, Meissel und andere spanabnehmende Drechselwerkzeuge aus klassischen und modernen Stählen. Bei 95 Prozen aller bisherigen Arbeiten aber reichten mir maximal zehn dieser Werkzeuge. Drei Schalenröhren war nur dann gleichzeitig im Einsatz, wenn an allen drei Bänken gearbeitet wurde. Die meisten der 65 überwiegend profilierten Handhobel sind mit einer dicken Staubschicht überzogen. Überfluss? Heute ja, die Aufgaben haben sich gewandelt beziehungsweise werden zeitsparend mit der Oberfräse erledigt.
Ich erinnere daran, dass ich mich in der Januar-Kolumne befasst habe mit der Frage, wie Hobbydrechsler die Verwertung ihres Nachlasses insbesondere an werthaltigen teuren Maschinen regeln sollten. Dabei ging es nur um Hilfestellungen für hinterbliebene Lebenspartner. In diesem Text geht es darum, zu Lebzeiten eine Belastung durch Fülle, Vielfalt und Überfluss zu verhindern. Ich bin sicher, dass nicht wenige Mitglieder dieses Forums sich an den Kopf fassen und stöhnen: „Diese Sorgen möchte ich auch haben!“ Aber dieses Sorgen können noch kommen, vielleicht in zehn Jahren oder noch später.
Was machen? Ich könnte die Profilhobel verschenken oder verkaufen. Sie sind allesamt formschön, mit Spuren des Gebrauchs und vielfach behaftet mit Erinnerungen an Profilleisten, die ich bei Reparaturen alter Möbel hergestellt habe.
Und vielleicht brauche ich sie doch noch einmal!
In meinen Schränken lagern Feilen und Raspeln, Schnitzeisen und Schreinerbeitel in allen Formen. Wenn ich sie verkaufe oder verschenke, liegen sie möglicherweise in einer anderen Werkstatt unnütz herum. Wer braucht diese Werkzeuge heute noch in Zeiten von oszillierenden Feil-, Fräs- und Schnitzmaschinen?
Und vielleicht brauche ich sie doch noch einmal!
Das Holzlager wird trotz ständigen Verbrauchs nicht kleiner, eher größer, weil immer noch liebe Menschen mir wohlmeinend Stämme vors Gartentor stellen. Ich kann deren Gunstbeweis aber nicht verletzen mit den Worten: „Danke, ich habe genug Holz!“
Na ja, vielleicht brauche ich das Holz später doch einmal...
Menschen, die mit ihren Händen Werkzeuge zur Gestaltung ihrer Welt einsetzen, entwickeln auch eine emotionale Beziehung zu eben diesen Werkzeugen. Auch dann noch, wenn sie nicht mehr alltäglich benötigt werden. Und seltene Edelhölzer kann im wirklichen Leben kein Holzfreund ohne Schuldgefühl dem Schredder oder Ofen opfern.
Damit diese Kolumne kein tragisch-komisches Ende nimmt, erbitte ich keinen Trost, sondern aus der Wirklichkeit der Freizeit-Drechslerei geborene seriöse Reflexionen. Klar ist, früher oder später werden wir alle den Zwiespalt zwischen Überfluss und Freiheit davon erleben.
Mit diesen Gedanken voller Ambivalenz beende ich meine Monatskolumnen für das Jahr 2020. Ich bedanke mich für eure meist freundlichen Reaktionen und hoffe, dass sich im neuen Jahr ein anderer Hobbydrechsler ernsthafte Gedanken für andere Hobbydrechsler macht.
+++++++++
Und ganz zum Schluss, bevor ich mich als offizieller Kolumnist des „Blauen“ verabschiede, möchte ich noch einen Gedanken loswerden, der nicht neu ist, mir aber schon lange auf der Seele liegt: Wir Hobbydrechsler sollten uns nicht scheuen, eigene Erzeugnisse an andere Hobbydrechsler zu verkaufen. Was natürlich zwingend voraussetzt, dass andere Hobbydrechsler entschlossen Kaufwünsche äußern. Ich erinnere mich an verstörende Stammtisch-Diskussionen dieser Art: „Ich kauf' nix von anderen, mach' alles selbst. Deshalb habe ich doch meine Werkstatt“. Der Erwerb von (meist außergewöhnlichen) Werkstücken anderer Drechsler:innen ist immer ein Ausdruck von Wertschätzung und von Achtung. Solche Geschäfte fördern die soziale Verbundenheit in der Szene und bauen Brücken von Mensch zu Mensch. Auf der Drechselbank entstandene Gegenstände bekommen einen Namen.
Ich freue mich jedenfalls immer wieder über meine Sammlung sehr unterschiedlicher Werkstücke sehr unterschiedlicher Menschen. Diese Sammlung ist ein Gewinn und hat eine Sonderstellung.
Freiheit vom Überfluss
Von Peter Gwiasda
Ich gehöre zu den Hobbydrechslern der ersten Stunde. Damit meine ich die Holzwerker, die nicht zum Broterwerb, sondern aus Lust und Freude in einer Zeit wachsenden Wohlstandes und großzügiger Freizeit ihre Erfüllung in einem uralten Handwerk erkannten. Meine Werkstatt entstand vor über vier Jahrzehnten im Kuhstall meines Hauses, einer typischen hessischen Hofreite. Ich habe den Stall im Erdgeschoss der Scheune entkernt und nach dem jeweiligen (oft knappen) Guthaben an Zeit und Geld ausgebaut. Meine Werkstatt ist im Verlaufe der Jahre immer größer und voller geworden. Sie entwickelte sich biologisch-dynamisch und - streng genommen - ohne Plan. Spontane konkrete Bedürfnisse und zufällige günstige Angebote von Maschinen und Werkzeugen bestimmten die weitere Entwicklung. Beim Ausbau des sehr alten Wohnhauses stand der Innenausbau und der Möbelbau im Vordergrund. Folglich sammelten sich Kombinationssägen, Fräsen, Hobelmaschinen und Bandsägen in der immer voller werdenden Werkstatt. Die Arbeit an den Drechselbänken war damals die Ausnahme, allenfalls lustbetonte Kür. Heute steht sie im Mittelpunkt, weil Tische, Schränke und Regale längst gebaut und alle Biedermeiermöbel poliert sind. Das also ist die Lage heute. Sie macht mich immer dann etwas ratlos, wenn ich in der Werkstatt stehe und einen Rundumblick mache. Brauche ich das alles wirklich?
Ich glaube, dass ich mit meinem Luxus-Problem nicht exklusiv bin. Ich kenne viele Dutzend Männer (und nur einige Frauen) meines Alters mit ähnlichen Lebensläufen. Wachsender Wohlstand und gesicherte Freizeit bei gleichzeitig steigendem Angebot an Werkzeugen und Maschinen für das Drechselhandwerk versetzten und versetzen uns Freizeit-Drechsler in euphorische Stimmungen. Ich habe alle großen Drechseltreffen erlebt. In meiner Erinnerung sind Bilder gespeichert von verzückten Männern mit großen Augen vor großen und kleinen Maschinen und berauscht von der Haptik der Werkzeuge aus Stahl und poliertem Edelholz. Und ich war immer mittendrinnen, erwarb dies und das und, weil gerade im Sonderangebot, auch noch ein Wunderöl für die Holzoberfläche. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Kanister mit dem Wunderöl ist immer noch halbvoll und die schwere extrabreite Schruppröhre aus Sheffield ist während der letzten fünfzehn Jahre höchstens einen Millimeter kürzer geworden. Ich bin also von Überfluss umgeben. Oder von Dingen, die ich fast nie benötigt habe und mutmaßlich auch künftig nicht mehr gebrauche. Ein Drechselanfänger wird dieses Bekenntnis als Provokation empfinden. Es ist aber nicht so gemeint.
Um die Wahrhaftigkeit dieser Zeilen zu überprüfen, habe ich gestern in meiner Werkstatt eine Inspektionsrunde gedreht. Die Bilanz bestätigt meine Einlassung. Hier zwei Beispiele: Ich zählte 130 unterschiedlich große Röhren, Meissel und andere spanabnehmende Drechselwerkzeuge aus klassischen und modernen Stählen. Bei 95 Prozen aller bisherigen Arbeiten aber reichten mir maximal zehn dieser Werkzeuge. Drei Schalenröhren war nur dann gleichzeitig im Einsatz, wenn an allen drei Bänken gearbeitet wurde. Die meisten der 65 überwiegend profilierten Handhobel sind mit einer dicken Staubschicht überzogen. Überfluss? Heute ja, die Aufgaben haben sich gewandelt beziehungsweise werden zeitsparend mit der Oberfräse erledigt.
Ich erinnere daran, dass ich mich in der Januar-Kolumne befasst habe mit der Frage, wie Hobbydrechsler die Verwertung ihres Nachlasses insbesondere an werthaltigen teuren Maschinen regeln sollten. Dabei ging es nur um Hilfestellungen für hinterbliebene Lebenspartner. In diesem Text geht es darum, zu Lebzeiten eine Belastung durch Fülle, Vielfalt und Überfluss zu verhindern. Ich bin sicher, dass nicht wenige Mitglieder dieses Forums sich an den Kopf fassen und stöhnen: „Diese Sorgen möchte ich auch haben!“ Aber dieses Sorgen können noch kommen, vielleicht in zehn Jahren oder noch später.
Was machen? Ich könnte die Profilhobel verschenken oder verkaufen. Sie sind allesamt formschön, mit Spuren des Gebrauchs und vielfach behaftet mit Erinnerungen an Profilleisten, die ich bei Reparaturen alter Möbel hergestellt habe.
Und vielleicht brauche ich sie doch noch einmal!
In meinen Schränken lagern Feilen und Raspeln, Schnitzeisen und Schreinerbeitel in allen Formen. Wenn ich sie verkaufe oder verschenke, liegen sie möglicherweise in einer anderen Werkstatt unnütz herum. Wer braucht diese Werkzeuge heute noch in Zeiten von oszillierenden Feil-, Fräs- und Schnitzmaschinen?
Und vielleicht brauche ich sie doch noch einmal!
Das Holzlager wird trotz ständigen Verbrauchs nicht kleiner, eher größer, weil immer noch liebe Menschen mir wohlmeinend Stämme vors Gartentor stellen. Ich kann deren Gunstbeweis aber nicht verletzen mit den Worten: „Danke, ich habe genug Holz!“
Na ja, vielleicht brauche ich das Holz später doch einmal...
Menschen, die mit ihren Händen Werkzeuge zur Gestaltung ihrer Welt einsetzen, entwickeln auch eine emotionale Beziehung zu eben diesen Werkzeugen. Auch dann noch, wenn sie nicht mehr alltäglich benötigt werden. Und seltene Edelhölzer kann im wirklichen Leben kein Holzfreund ohne Schuldgefühl dem Schredder oder Ofen opfern.
Damit diese Kolumne kein tragisch-komisches Ende nimmt, erbitte ich keinen Trost, sondern aus der Wirklichkeit der Freizeit-Drechslerei geborene seriöse Reflexionen. Klar ist, früher oder später werden wir alle den Zwiespalt zwischen Überfluss und Freiheit davon erleben.
Mit diesen Gedanken voller Ambivalenz beende ich meine Monatskolumnen für das Jahr 2020. Ich bedanke mich für eure meist freundlichen Reaktionen und hoffe, dass sich im neuen Jahr ein anderer Hobbydrechsler ernsthafte Gedanken für andere Hobbydrechsler macht.
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Und ganz zum Schluss, bevor ich mich als offizieller Kolumnist des „Blauen“ verabschiede, möchte ich noch einen Gedanken loswerden, der nicht neu ist, mir aber schon lange auf der Seele liegt: Wir Hobbydrechsler sollten uns nicht scheuen, eigene Erzeugnisse an andere Hobbydrechsler zu verkaufen. Was natürlich zwingend voraussetzt, dass andere Hobbydrechsler entschlossen Kaufwünsche äußern. Ich erinnere mich an verstörende Stammtisch-Diskussionen dieser Art: „Ich kauf' nix von anderen, mach' alles selbst. Deshalb habe ich doch meine Werkstatt“. Der Erwerb von (meist außergewöhnlichen) Werkstücken anderer Drechsler:innen ist immer ein Ausdruck von Wertschätzung und von Achtung. Solche Geschäfte fördern die soziale Verbundenheit in der Szene und bauen Brücken von Mensch zu Mensch. Auf der Drechselbank entstandene Gegenstände bekommen einen Namen.
Ich freue mich jedenfalls immer wieder über meine Sammlung sehr unterschiedlicher Werkstücke sehr unterschiedlicher Menschen. Diese Sammlung ist ein Gewinn und hat eine Sonderstellung.