Die Kolumne für Juli
Verfasst: Mittwoch 1. Juli 2020, 14:02
Schlagt nach bei Spannagel!
Von Peter Gwiasda
Im Rückblick hat kein Mensch mein Leben so stark bestimmt wie ein gewisser Fritz Spannagel. Er ist der Verfasser des Standardwerkes über das Drechslerhandwerk, eines „Fachbuches für Drechsler, Lehrer, Architekten und Liebhaber“. Ich zähle mich zu den „Liebhabern“ und erwarb dieses Buch vor einem halben Jahrhundert. Fritz Spannagel starb 1957. Er erlebte somit noch 1948 die Wiederauflage seines während des Weltkrieges abgeschlossenen Standardwerkes über dieses älteste Handwerk der Menschheit, aber leider nicht mehr die folgenden Reprints seines einzigartigen Fachbuchs. Spannagel war kein Berufsdrechsler, vielleicht arbeitete er auch nur gelegentlich an einer Bank. Er war vor allem ein erfolgreicher Architekt und kluger Hochschullehrer und noch mehr ein begnadeter Verfasser von Fachbüchern über das Holzhandwerk. Seit 1928 leitete er die Höhere Fachschule für Möbelbau und Innenarchitektur in Berlin. Dort wirkte er zukunftsweisend, bis ihn die Nazis 1933 absetzten. Mit seinen Büchern wirkt er bis heute und weltweit. Seine Botschaft ist die Rückbesinnung auf handwerkliche Qualitäten und Werte: solide verarbeitetes natürliches Material und schlichte Formen. Er pflegte Kontakte zu Männern, die wesentlich zur Gestaltung unserer Welt beigetragen haben, zum Beispiel zu Walter Gropius und Eugen Eiermann.
Und weshalb hat dieser Mann einen so starken Einfluss auf mein Leben ausgeübt? Weil er in allen seinen Büchern in Wort, Zeichnung und Bild den Glanz guten Handwerks und soliden Werkzeugs dargestellt hat. Die Darstellungen altägyptischer Schreiner bei der Arbeit mit dem Fiedelbogen, die Fotos von Drehstühlen und indischen Schleifscheiben mit Schnurzug haben mich früh fasziniert. Ebenso die Zeichnungen von mittelalterlichen Drechslern an der Wippbank und die Skizze der revolutionären gekröpften Welle mit Schwungrad von Leonardo da Vinci. Er beschreibt die Werkzeuge der Drechsler, die in Zusammenarbeit mit den Schmieden hergestellt werden und die Drechselbänke aus Gußeisen und Stahl. Seine Bücher waren und sind für mich die wichtigsten Werke zu meinem Lieblingsmaterial Holz.
Und immer wieder sind Hände zu sehen. Die Hände der Menschen sind einzigartig in ihrer Multifunktionalität, kein anderes Säugetier ist so gut ausgerüstet für die kompliziertesten Verrichtungen. Spannagels Bücher über die Schreiner, Zimmerleute und Drechsler haben mir geholfen, meine Hände zu entdecken. Ich erwarb klassisches Werkzeug für die Holzbearbeitung und spürte, wie deren Gebrauch meinen Händen wohltat. Ich kaufte die erste gusseiserne Drechselbank der Marke Heyligenstaedt und spürte deren Unerschütterlichkeit.
Weshalb betone ich in diesem Beitrag fortwährend die Hände? Weil ich immer häufiger den heimtückischen Verlockungen der Maschinen erliege. Ich spüre bei mir und anderen Hobby-Handwerkern einen schleichenden Prozess der Maschinisierung. In den vergangenen Tagen habe ich mich mal bewusst kontrolliert und dabei etwas beschämt ermittelt, dass ich fauler werde und wie selbstverständlich zu den Maschinen greife.
Währenddessen legt sich dicker Staub auf meine Gestellsäge, die ich vor Jahrzehnten aus Speierlingsholz gebaut habe und auf die ich damals so stolz war. Mit ihr hätte ich gestern die zwei Bretter schneller abgelängt als mit der Bandsäge oder der Kappsäge.
Auch die schönen Ulmia-Hobel verstauben, sie müssten mal wieder geschärft werden. Die Zeit gönne ich mir leider nicht immer und schiebe deshalb mal eben die Bohle über die Abrichte, weil es vermeintlich so schnell geht. Irrtum, ist nur Bequemlichkeit.
Immer mehr Drechsler verfügen über stufenlos regulierbare Maschinen zum Glätten von Werkstücken durch rotierende oder oszillierende Schleifmittel und übersehen großzügig die oft zerstörerischen Wirkungen bei deren Gebrauch. Es gibt Drechsler, die Stuhlbeine mit der Flex und 80er Körnung malträtieren statt mit dem Meißel zu schneiden. Angst vor einem „Nürnberger“?
Ich könnte die Beispiele fortsetzen. Wer ehrlich ist, kennt die Reize neuer Kleinmaschinen in der Holzbearbeitung aus eigener Praxis.
Spätestens jetzt kommen die Einwände. Und zwar zu recht. Natürlich gibt es nützliche Hilfsmittel und neue Techniken, die uns das Handwerk erleichtern. Früher pflegte ich sorgsam eine Sammlung unterschiedlicher Natursteine zum Abziehen von Hobeleisen, Hohlbeiteln und Meißeln. Heute liegen die Belgischen Brocken meist ungenutzt im Schrank, weil ich diamantbeschichtete Feilen und Blöcke als gleichwertig, vor allem aber als praktischer empfinde.
Wir alle kennen und schätzen den niederländischen Drechsler Jan Hovens. Für mich ist er der Typ des forschenden Handwerkers. Er ist stets auf der Suche nach der reinen Form des Handwerks, indem er alte, oft fragmentierte Maschinen ergänzt, repariert und zum Laufen bringt. Gewinde strehlt er, Gewindefräser meidet er. Mit ihm über das Handwerk und den Höchstleistungen unserer Hände zu plaudern, kann eine Offenbarung sein.
Noch einmal zurück zu Fritz Spannagel. Er schrieb vor über 80 Jahren mit Blick auf das 19. Jahrhundert bemerkenswerte Sätze, die heute in abgewandelter Weise noch gültig sind: „Wie jedes Handwerk war auch die Drechslerei im letzten Jahrhundert das Opfer eines Zeitschicksals geworden, denn die Maschine war auf den Plan getreten. Die Maschine, im Grunde als Dienerin des Menschen gedacht, wurde bald von ihm missbraucht, was ihr zunächst geradezu eine kulturzerstörende Wirkung gab. Die durch sie möglich gewordene rasche Produktion erfolgte nicht aus dem humanen Wunsche, des Menschen Arbeit zu erleichtern, und aus einer ehrbaren Gesinnung, Kulturwerke zu schaffen, sondern die Industriealisierung mit ihrer Massenproduktion entwickelte bald eine grenzenlose Gewinnsucht.“
Der gute alte Spannagel bezog sich damals nicht auf den Einsatz von computergesteuerten Fräsen und Drechselbänken, sondern auf die zur Kaiserzeit herrschende Überzeugung, dass die Kunst vom Können alleine käme. Es war die Zeit, als die Drechsler ihre Werke erstickten in sinnlosen Spielereien und nutzlosen Kuriositäten.
Würde Spannagel heute in einem der vielen Prospekte für Drechslerbedarf blättern, würde er fragen: „Braucht man das wirklich?“ Überliefert ist sein Credo: „In der Beschränkung zeigt sich der Meister“.
Diese Glosse hat mich angeregt, mal wieder zum Spannagel zu greifen. Ich fand die Lektüre so ergiebig wie vor vier Jahrzehnten. Spannagel garantiert immer Erkenntnisgewinn. Seine Botschaft ist die vom unermesslich hohen Kulturwert des Handwerks. Deshalb meine Empfehlung an Meister und Anfänger, an kreative Dilettanten und talentierte Freizeitdrechsler:
Schlagt nach bei Spannagel!
Pause
Und schlagt auch nach bei Steinert!
Die von Altmeister Rolf Steinert und seinen Söhnen Martin und Roland 2017 herausgegebene
„Enzyklopädie Drechseln“ stellt in gewisser Weise eine Fortsetzung und Modernisierung des von mir gepriesenen Standardwerkes dar.
Von Peter Gwiasda
Im Rückblick hat kein Mensch mein Leben so stark bestimmt wie ein gewisser Fritz Spannagel. Er ist der Verfasser des Standardwerkes über das Drechslerhandwerk, eines „Fachbuches für Drechsler, Lehrer, Architekten und Liebhaber“. Ich zähle mich zu den „Liebhabern“ und erwarb dieses Buch vor einem halben Jahrhundert. Fritz Spannagel starb 1957. Er erlebte somit noch 1948 die Wiederauflage seines während des Weltkrieges abgeschlossenen Standardwerkes über dieses älteste Handwerk der Menschheit, aber leider nicht mehr die folgenden Reprints seines einzigartigen Fachbuchs. Spannagel war kein Berufsdrechsler, vielleicht arbeitete er auch nur gelegentlich an einer Bank. Er war vor allem ein erfolgreicher Architekt und kluger Hochschullehrer und noch mehr ein begnadeter Verfasser von Fachbüchern über das Holzhandwerk. Seit 1928 leitete er die Höhere Fachschule für Möbelbau und Innenarchitektur in Berlin. Dort wirkte er zukunftsweisend, bis ihn die Nazis 1933 absetzten. Mit seinen Büchern wirkt er bis heute und weltweit. Seine Botschaft ist die Rückbesinnung auf handwerkliche Qualitäten und Werte: solide verarbeitetes natürliches Material und schlichte Formen. Er pflegte Kontakte zu Männern, die wesentlich zur Gestaltung unserer Welt beigetragen haben, zum Beispiel zu Walter Gropius und Eugen Eiermann.
Und weshalb hat dieser Mann einen so starken Einfluss auf mein Leben ausgeübt? Weil er in allen seinen Büchern in Wort, Zeichnung und Bild den Glanz guten Handwerks und soliden Werkzeugs dargestellt hat. Die Darstellungen altägyptischer Schreiner bei der Arbeit mit dem Fiedelbogen, die Fotos von Drehstühlen und indischen Schleifscheiben mit Schnurzug haben mich früh fasziniert. Ebenso die Zeichnungen von mittelalterlichen Drechslern an der Wippbank und die Skizze der revolutionären gekröpften Welle mit Schwungrad von Leonardo da Vinci. Er beschreibt die Werkzeuge der Drechsler, die in Zusammenarbeit mit den Schmieden hergestellt werden und die Drechselbänke aus Gußeisen und Stahl. Seine Bücher waren und sind für mich die wichtigsten Werke zu meinem Lieblingsmaterial Holz.
Und immer wieder sind Hände zu sehen. Die Hände der Menschen sind einzigartig in ihrer Multifunktionalität, kein anderes Säugetier ist so gut ausgerüstet für die kompliziertesten Verrichtungen. Spannagels Bücher über die Schreiner, Zimmerleute und Drechsler haben mir geholfen, meine Hände zu entdecken. Ich erwarb klassisches Werkzeug für die Holzbearbeitung und spürte, wie deren Gebrauch meinen Händen wohltat. Ich kaufte die erste gusseiserne Drechselbank der Marke Heyligenstaedt und spürte deren Unerschütterlichkeit.
Weshalb betone ich in diesem Beitrag fortwährend die Hände? Weil ich immer häufiger den heimtückischen Verlockungen der Maschinen erliege. Ich spüre bei mir und anderen Hobby-Handwerkern einen schleichenden Prozess der Maschinisierung. In den vergangenen Tagen habe ich mich mal bewusst kontrolliert und dabei etwas beschämt ermittelt, dass ich fauler werde und wie selbstverständlich zu den Maschinen greife.
Währenddessen legt sich dicker Staub auf meine Gestellsäge, die ich vor Jahrzehnten aus Speierlingsholz gebaut habe und auf die ich damals so stolz war. Mit ihr hätte ich gestern die zwei Bretter schneller abgelängt als mit der Bandsäge oder der Kappsäge.
Auch die schönen Ulmia-Hobel verstauben, sie müssten mal wieder geschärft werden. Die Zeit gönne ich mir leider nicht immer und schiebe deshalb mal eben die Bohle über die Abrichte, weil es vermeintlich so schnell geht. Irrtum, ist nur Bequemlichkeit.
Immer mehr Drechsler verfügen über stufenlos regulierbare Maschinen zum Glätten von Werkstücken durch rotierende oder oszillierende Schleifmittel und übersehen großzügig die oft zerstörerischen Wirkungen bei deren Gebrauch. Es gibt Drechsler, die Stuhlbeine mit der Flex und 80er Körnung malträtieren statt mit dem Meißel zu schneiden. Angst vor einem „Nürnberger“?
Ich könnte die Beispiele fortsetzen. Wer ehrlich ist, kennt die Reize neuer Kleinmaschinen in der Holzbearbeitung aus eigener Praxis.
Spätestens jetzt kommen die Einwände. Und zwar zu recht. Natürlich gibt es nützliche Hilfsmittel und neue Techniken, die uns das Handwerk erleichtern. Früher pflegte ich sorgsam eine Sammlung unterschiedlicher Natursteine zum Abziehen von Hobeleisen, Hohlbeiteln und Meißeln. Heute liegen die Belgischen Brocken meist ungenutzt im Schrank, weil ich diamantbeschichtete Feilen und Blöcke als gleichwertig, vor allem aber als praktischer empfinde.
Wir alle kennen und schätzen den niederländischen Drechsler Jan Hovens. Für mich ist er der Typ des forschenden Handwerkers. Er ist stets auf der Suche nach der reinen Form des Handwerks, indem er alte, oft fragmentierte Maschinen ergänzt, repariert und zum Laufen bringt. Gewinde strehlt er, Gewindefräser meidet er. Mit ihm über das Handwerk und den Höchstleistungen unserer Hände zu plaudern, kann eine Offenbarung sein.
Noch einmal zurück zu Fritz Spannagel. Er schrieb vor über 80 Jahren mit Blick auf das 19. Jahrhundert bemerkenswerte Sätze, die heute in abgewandelter Weise noch gültig sind: „Wie jedes Handwerk war auch die Drechslerei im letzten Jahrhundert das Opfer eines Zeitschicksals geworden, denn die Maschine war auf den Plan getreten. Die Maschine, im Grunde als Dienerin des Menschen gedacht, wurde bald von ihm missbraucht, was ihr zunächst geradezu eine kulturzerstörende Wirkung gab. Die durch sie möglich gewordene rasche Produktion erfolgte nicht aus dem humanen Wunsche, des Menschen Arbeit zu erleichtern, und aus einer ehrbaren Gesinnung, Kulturwerke zu schaffen, sondern die Industriealisierung mit ihrer Massenproduktion entwickelte bald eine grenzenlose Gewinnsucht.“
Der gute alte Spannagel bezog sich damals nicht auf den Einsatz von computergesteuerten Fräsen und Drechselbänken, sondern auf die zur Kaiserzeit herrschende Überzeugung, dass die Kunst vom Können alleine käme. Es war die Zeit, als die Drechsler ihre Werke erstickten in sinnlosen Spielereien und nutzlosen Kuriositäten.
Würde Spannagel heute in einem der vielen Prospekte für Drechslerbedarf blättern, würde er fragen: „Braucht man das wirklich?“ Überliefert ist sein Credo: „In der Beschränkung zeigt sich der Meister“.
Diese Glosse hat mich angeregt, mal wieder zum Spannagel zu greifen. Ich fand die Lektüre so ergiebig wie vor vier Jahrzehnten. Spannagel garantiert immer Erkenntnisgewinn. Seine Botschaft ist die vom unermesslich hohen Kulturwert des Handwerks. Deshalb meine Empfehlung an Meister und Anfänger, an kreative Dilettanten und talentierte Freizeitdrechsler:
Schlagt nach bei Spannagel!
Pause
Und schlagt auch nach bei Steinert!
Die von Altmeister Rolf Steinert und seinen Söhnen Martin und Roland 2017 herausgegebene
„Enzyklopädie Drechseln“ stellt in gewisser Weise eine Fortsetzung und Modernisierung des von mir gepriesenen Standardwerkes dar.