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Nachhaltigkeit: Holz - Baum - Natur Beitrag 2023/02

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Peter G
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Nachhaltigkeit: Holz - Baum - Natur Beitrag 2023/02

Beitrag von Peter G »

Vor 50 Jahren verwüstete „Quimburga“ unser Land

Wer von euch erinnert sich noch an das Sturmtief mit dem zungenbrecherischen Namen „Quimburga“? Ich erinnere mich und quäle mich deshalb mit der unnützen Frage, ob die frühe Geburt eine Gunst oder eine Gnade ist. Meine Erinnerung nach einem halben Jahrhundert erschreckt mich noch heute. Am Jahresende 1972 fuhr ich mehrmals von Hessen zu Familienmitgliedern in meiner Heimatstadt Bremen, also quer durch Deutschland von Süden nach Norden und damit viele Kilometer durch Niedersachsen. Links und rechts der Autobahnen und Straßen bot sich mir ein apokaliptisches Bild der Zerstörung von Wäldern. Am 13. November 1972 war „Quimburga“ als einer der schlimmsten Orkane des 20. Jahrhunderts über Mitteleuropa gezogen. Insgesamt forderte dieser Sturm 73 Menschenleben, allein im Bundesland Niedersachsen waren 21 Tote zu beklagen. Später kamen in der Schreckensbilanz noch 22 Todesopfer hinzu, sie verunglückten bei der Aufarbeitung der Waldschäden. Die Forstbehörden in Westdeutschland ermittelten Schäden in Höhe von 1,34 Milliarden DM. Die Verluste in den Wäldern der DDR dürften gleichermaßen gigantisch gewesen sein.

Diesem gewaltigen Sturm folgten weitere Verheerungen deutscher Wälder, wie Zeitgenossen der späteren Geburt wissen oder wissen sollten. Erinnern wir uns noch an den sauren Regen in den achtziger Jahren und daran, dass der endgültige Tod des mitteleuropäischen Waldes nur noch als eine Frage von Jahren erschien? Bei mir haben sich grausame Fotos vom radikal entwaldeten Bayrischen Wald und von den kahlen Höhen des Harzes eingebrannt. Die folgenden gelegentlichen Stürme über das vereinte Deutschland waren schlimm, blieben aber meist regional. Heute wissen wir, dass menschengemachte Umweltverwüstungen wie der saure Regen durch Klugheit und Vernunft zu heilen sind. Die meisten Wälder haben sich von der sauren Dusche von oben dank Katalysatoren in Autos und Industriefilteranlagen wieder erholt. Aber dann kam es richtig dicke. Als nämlich Anfang des neuen Jahrtausend geschah, was bereits vor einem halben Jahrhundert (wieder ein Jubiläum!) Naturwissenschaftler errechnet und warnend verbreitet hatten. Unser blauer Planet erhitzt sich, erst langsam und dann immer schneller.

Die Prognosen der Wissenschaftler wurden leider nicht ernst genommen, eher erschien eine Klimaveränderung bei uns in Mitteleuropa als eine Verheißung, neben Äpfeln bald auch Apfelsinen anbauen zu können. Die jüngsten sommerlichen Trockenperioden dürften die letzten Skeptiker überzeugt haben. Unser Wald stirbt nicht nur, unser Wald ist schon weg. Wenn ich heute von meinem Dachfenster auf das Mittelgebirge des Hochtaunus schaue, sehe ich riesige Lücken im Wald. Der Borkenkäfer hat die durch Trockenstress geschwächten Bäume gnadenlos überfallen.

Solche Katastrophen eröffnen aber auch Chancen, die Trost spenden und Hoffnung bieten. Der eingangs beschriebene zerstörerische Orkan „Quimburga“ hat die heimische Forstwirtschaft grundlegend verändert. Mischwälder ersetzten Monokulturen und erstmals wurden weit in die Zukunft gedachte Programme entwickelt. Zum Beispiel das „Programm zur langfristigen Ökologischen Waldentwicklung“ (Löwe). Der Wald wurde insgesamt als ein lebendiges System verstanden, in welchem Boden, Wasser, Flora und Fauna, Wind und Sonne eine Wechselbeziehung eingehen. Der Jahrhundertsturm bewirkte auch eine Modernisierung der Forsttechnik. Die Aufarbeitung der gewaltigen Massen an Schadholz gelang damals nur dank des Einsatzes von Waldarbeitern und Maschinen aus Skandinavien und Österreich. Aus diesen Ländern kamen auch erstmals bis dahin bei uns unbekannte Holzerntemaschinen ins Land und – ganz wichtig – Sicherheitskleidung für die Waldarbeiter.

Aus Schaden werden die Menschen klug, meistens. Vor 50 Jahren schon fragten sich die Förster, welche Bäume sie ersatzweise pflanzen sollten. Genau wussten sie es nicht, so wie heute die Forstleute nur hoffen können, die richtigen Entscheidungen beim Aufbau von neuen Wäldern zu treffen. Das Dilemma bleibt: Kein Förster erlebt die Vollendung seines Wirkens und damit seines Werkes beim Waldbau. Ackerbauern sind in dieser Hinsicht privilegiert.

Aber fortschrittliche Lösungen kommen gelegentlich von oben, fallen also vom Himmel.
In einer aktuellen Ausgabe des Holzzentralblattes wird beschrieben, was sich vor dem Hintergrund der aktuellen klimabedingten Waldschäden Techniker, Informatiker und Biologen ausgedacht haben, um zielgenau und effektiv neue Wälder zu generieren. Leistungsfähige Drohnen sollen künftig bei der Wiederaufforstung verwüsteter Landstriche helfen. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg entwickelt Prototypen von Drohnen, die vollgepackt mit Sensoren, Kameras und Scannern das Profil und die biologische Qualität des jeweiligen Bodens erfassen. Die Drohnen sollen dann zu günstigen Wachstumszeiten speziell präparierte „Samenbomben“ ferngesteuert abwerfen. Und zwar an Stellen mit optimalen Bedingungen, ermittelt und errechnet von oben durch Messungen der Temperatur, der Feuchtigkeit und des Chlorophyllgehalts des Altholzes.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Mit diesem Text unterstelle ich, dass wir Drechsler eine besondere Affinität zum Wald und seinen Bäumen besitzen. Ich hoffe, dass dieser Beitrag andere Nutzer dieses Forums anregt und ermuntert, ihre Gedanken und Kenntnisse rund ums Holz und den Wald zu formulieren. Ist ja ganz einfach.

Peter Gwiasda
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Re: Nachhaltigkeit: Holz - Baum - Natur Beitrag 2023/02

Beitrag von Maggus »

Lieber Peter,

herzlichen Dank für Deine waldigen Worte!

Als ein im Süden Geborener, im waldigen Nordhessen lange Gewohnthabender und nun im Osten Niedersachsens Angekommener, sind mir immer die Wälder der Region im Blick.
Hier im Landkreis Gifhorn, so zwischen Hannover und Berlin gelegen, fahre ich fast täglich an den Folgen von Quimburga vorbei. Kilometerlange Wege durch 50-jährigen Wald (meist Kiefer), die infolge von Quimburga, aber teilweise auch durch die verheerenden Waldbrände 1975 https://de.wikipedia.org/wiki/Brand_in_ ... rger_Heide angelegt wurden. Oftmals langweilige Monokulturen, aber mit immer wieder sehr alten Eichen dazwischen, die dem Auge wohl tun.

Ein für mich besonderer Wald ist der Reinhardswald nördlich von Kassel. https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhardswald
Uralte Eichen bilden fast einen Urwald. Vor mittlerweile Jahrzehnten war ein Spaziergang durch den nebligen Wald und seinen bemoosten Bewohnern fast unheimlich. Tolkien muss diese Bäume bei den Gedanken an Ents und Huorns vor Augen gehabt haben.

Die Vergleiche zwischen der alten Heimat im Süden mit seinen Buchenmischwäldern und den hiesigen Kiefern-Eichen-Wäldern, die in den vergangenen fünf Jahren sehr unter der Trockenheit gelitten haben, ist jedes Mal wieder spannend, zeigen sie doch, welche große Auswirkungen Wasser und Boden auf die Vegetation haben.

Ohne Wald könnte ich nicht leben und so ist die Arbeit mit Holz auch nur die logische Folge davon, den Wald so gut es geht, ins Haus zu holen.
So sehr der Wald sich in den kommenden Jahrzehnten wandeln wird - er wird uns erhalten bleiben und wir werden noch viele spannende Entdeckungen in ihm machen können.
Und sei es nur, dass man keinen Baum mehr anschauen kann, ohne die Schale darin suchen zu müssen :-D

Holzkopfige Grüße,
Markus
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